Wo Menschen sind, gibt es auch Friedhöfe. Als letzte Ruhestätten und Orte der Besinnung sind sie in den verschiedenen Kulturen seit jeher ein wichtiger Anker. Mit dem Projekt „Lebenswerte Friedhöfe“ sprechen wir bewusst ein Thema an, das in der Gesellschaft sensibel wahrgenommen wird. Genau jetzt, in Zeiten des Klimawandels, fortschreitender Bodenversiegelung und stetig steigendem Siedlungsdruck ist der richtige Zeitpunkt, sich diesen „übersehenen“ Grünflächen zu widmen, die enormes Potential für die Biodiversität bergen.
Kultur und Natur
Friedhof leitet sich vom althochdeutschen „Frithof“ ab, was den eingefriedeten Bereich um die Kirche bezeichnete. Grabdenkmäler, Grundrissgestaltung, Gebeinhäuser und sonstige Gebäude spiegeln Geschichte sowie kulturelle und landschaftliche Einbettung der Friedhöfe wider. Der Wiener Zentralfriedhof hat zum Beispiel als letzte Ruhestätte von Persönlichkeiten wie Ludwig van Beethoven, Falco oder Udo Jürgens Bekanntheitsgrad erlangt. Aber nicht allein die kulturelle und architektonische Vorgeschichte macht ihn zu einer Attraktion, sondern auch die vielfältige Natur, die von den Besucher*innen geschätzt wird und Fotograf*innen stimmungsvolle Kameramotive liefert. Auch Ornitholog*innen kommen hier auf ihre Kosten und können ein breites Spektrum an Vogelarten beobachten.
Genau hingeschaut
Während in Großstädten viele Friedhöfe eine Oase darstellen, bleibt das Potential an anderen Orten ungenutzt bzw. findet man ein konträres Bild: Asphaltierte Wege, ordentlich gemähte Rasen, Schottergräber und Grabbepflanzungen in Reih und Glied mit nicht heimischen Blumen – hier wird der menschliche Ordnungssinn sichtbar. Doch was fördert die Artenvielfalt am Friedhof und was können Friedhofsverwaltungen und Grabbesitzer*innen beitragen? Um diese Frage zu beantworten, wurden im Rahmen des Projekts in sechs Bundesländern an insgesamt 44 Friedhöfen sowohl vorkommende Vogelarten als auch relevante Lebensraumparameter, wie die Anzahl der Bäume, der Anteil der versiegelten Fläche und die Gestaltung der Gräber und Grünflächen erhoben.
Insgesamt konnten 67 verschiedene Vogelarten festgestellt werden, am häufigsten die Amsel, gefolgt von Kohlmeise, Stieglitz, Mönchsgrasmücke und Buchfink. Es wurden jedoch auch seltenere und gefährdete Arten nachgewiesen, allen voran der Girlitz, gefolgt von Bluthänfling, Blutspecht und Halsbandschnäpper (alle nach der BirdLife-Ampelliste gelb eingestuft).
Bäume und Sträucher
Unumstritten ist die Wichtigkeit von Bäumen und Sträuchern für Vögel am Friedhofsgelände, wie die Auswertungen zeigen. Mit steigender Anzahl der Bäume nimmt auch die auch die Vogelartenzahl zu und das Vorhandensein von Hecken wirkt sich positiv auf die Artenzahl aus. Je vielfältiger die Baum- und Strauchartenzusammensetzung, umso besser. Förderlich für den Vogelartenreichtum sind einige in Laubbaumgruppen eingestreute Nadelgehölze, vor allem hohe Fichten. Alte Bäume und Totholz fördern den Insektenreichtum und somit die Nahrungsverfügbarkeit für Vögel sowie das Höhlenangebot.
Grabgestaltung
Ebenso wirkt sich ein höherer Anteil an bepflanzten, nicht versiegelten Gräbern positiv auf die Artenzahl aus. Bepflanzen Sie also das Grab und wählen Sie dazu vorwiegend heimische Arten und achten Sie auf Diversität! Mädesüß, Klatschmohn, Echte Schafgarbe, Blutroter Storchschnabel, Bergflockenblume und Vergissmeinnicht sind nur einige Beispiele für Pflanzen, deren Blüten gerne von Insekten besucht werden und deren Samen von Vögeln verzehrt werden. Die Samenstände können auch als Gestecke für dekorative (und für Vögel schmackhafte) Highlights am Grab sorgen – lassen Sie Ihrer Kreativität freien Lauf! In unserem Folder „Lebenswerte Friedhöfe – Ratschläge für eine vogelfreundliche Grabbepflanzung“ haben wir eine Auswahl besonders wertvoller Pflanzen für Vögel zusammengestellt, inklusive einem Vorschlag für eine Grabbepflanzung.
Auf einen Blick
Ratschläge zur Friedhofsgestaltung und -pflege, die sich vor allem an die Friedhofsverwaltungen richten, inklusive Pflanzenlisten und Tipps zur biodiversitätsfördernden Grabbepflanzung sind ab Herbst 2023 auch in unserer Broschüre übersichtlich zusammengefasst erhältlich. Die wichtigsten Punkte auf einen Blick:
- Erhalten Sie alte Bäume und belassen Sie nach Möglichkeit Totholz auf dem Friedhof.
- Pflanzen Sie vorwiegend heimisches Laub- und Nadelgehölz.
- Lassen Sie bunte Blumenwiesen entstehen, indem Sie nur zwei bis drei Mal pro Jahr und nie alles auf einmal mähen.
- Gestalten Sie Grünflächen, die Sie niedrig halten wollen, als bunte Blumenrasen.
- Verzichten Sie auf versiegelte Wege und gestalten Sie diese stattdessen als Schotterwege (Schotterrasen), Wiesenwege oder trittfeste Blütenrasen.
- Lassen Sie auf wenig genutzten Flächen Raum für Natur: Wildkräuter, die über den Winter stehen bleiben dürfen, Totholz- oder Reisighaufen und aufgeschichtete Steine sind wertvolle Lebensräume.
- Begrünen Sie Mauern mit Efeu, Kletterrose, Waldrebe oder Jungfernrebe.
- Schaffen Sie Wasserstellen für Tiere mit einer Ausstiegshilfe für sicheren Zugang.
- Halten Sie nach Möglichkeit Öffnungen an Gebäuden offen, um Vögeln Nistmöglichkeiten anzubieten
- Gestalten Sie Gräber vielfältig mit insekten- und vogelfreundlichen Pflanzen.
- Verzichten Sie auf Pestizide und Kunstdünger und verwenden Sie torffreie Erde.
Wenn Gemeinden etwas für die Artenvielfalt am Friedhof tun und der Natur hier etwas Raum geben wollen, dann ist es unumgänglich, die Grabbesitzer*innen ins Boot zu holen. Wir wollen deshalb mit unseren Informationsmaterialien auch sie über die Bedeutung dieser Maßnahmen aufklären.
Vielfältig und nachhaltig
Im Inland wie im Ausland gibt es bereits mehrere Initiativen, die ein Fahrwasser gezogen haben und für das Thema sensibilisieren. Beispielsweise ist aus einer Kooperation der Friedhöfe Wien GmbH und der Universität Wien das Projekt BaF – Biodiversität am Friedhof hervorgegangen, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Vielfalt auf den Wiener Friedhöfen zu dokumentieren und zu schützen. Da durch Vernetzung und Wissensaustausch Kräfte gebündelt werden können, streben wir eine engere Zusammenarbeit mit dem Projekt BaF an. Vögel sind gute Indikatoren. Zudem sind sie charismatisch und ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Man denke zum Beispiel an einige Friedhöfe, die aufgrund ihrer Waldohreulen-Schlafplätze bekannt geworden sind. Nutzen wir als Gesellschaft die Chance, Friedhöfe nicht nur als letzte Ruhestätten, sondern auch als Inseln der Natur zu gestalten und erhalten.
In unserem druckfrischen Folder „Lebenswerte Friedhöfe – Ratgeber für eine vogelfreundliche Grabgestaltung“ skizzieren wir, wie Sie Ihr Grab naturnah bepflanzen und gestalten können. Unsere Broschüre „Lebenswerte Friedhöfe – Ratgeber für eine vogelfreundliche Gestaltung und Pflege“ ist besonders auf die Ansprüche von Gemeinden und Friedhofsverwaltungen abgestimmt und kann bestellt werden. Kostenfrei zu bestellen unter office@birdlife.at bzw. 01 523 46 51 oder: Download Broschüre Download Folder
Dieses Projekt wird vom BMK gefördert.
Fotos © K. Bergmüller, B. Paces, L. Lugerbauer, C. Nagl